Erwin Rüddel MdB

„Wir brauchen eine Balance von Forschung, Gesundheits- und Datenschutz“

Interview von MdB Erwin Rüddel mit dem Magazin „hih – health innovation hub”

Der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit, Erwin Rüddel (CDU), ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags und gehört zu den profiliertesten Gesundheitspolitikern in Deutschland. Im Interview mit dem hih benennt er die Ziele für die kommende Wahlperiode und fordert eine Ausweitung und Weiterentwicklung des Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG). Eine Idee aus seinem Heimatland Rheinland-Pfalz hat er für die künftige Ausrichtung des Bundesgesundheitsministeriums.
In der vergangenen Legislatur wurden die regulatorischen Grundlagen für die Digitalisierung der Medizin in Deutschland gelegt. Wie schätzen Sie deren Potenzial für die Gesundheitsversorgung in Deutschland ein?

Das Potenzial ist existenziell. Wir haben einen enormen Nachholbedarf. Ohne Digitalisierung werden wir die Versorgungsqualität nicht sichern können. Spätestens am Ende der nächsten Wahlperiode müssen wir unsere Ziele erreicht haben: die Vernetzung des Gesundheitssystems und die Vernetzung mit den Patienten. Die elektronische Patientenakte ist hier ein wichtiger Meilenstein. Mein Vorbild wäre eine Opt-out-Lösung wie in Skandinavien: Wer nicht mitmachen will, kann sich oder bestimmte Bereiche abmelden.

Die Verfügbarkeit medizinischer Daten, insbesondere im zeitlichen Verlauf, ist für die Weiterentwicklung der Medizin von herausragender Bedeutung. Wie wollen Sie die Verfügbarkeit derartiger Daten für die Forschung verbessern?


Und welche Rolle soll der einzelne Bürger dabei einnehmen? Wir brauchen eine Balance von Forschung, Gesundheits- und Datenschutz. Für mich hat der Gesundheitsschutz einen mindestens so hohen Stellenwert wie der Datenschutz. Der Bürger braucht eine Wahlmöglichkeit. Wenn er bestimmte Optionen nicht will, soll er sich möglichst einfach abmelden können.

Zentrale Rolle der gematik ist es, Standards für den Einsatz digitaler Technologien zu definieren. Zunehmend übernimmt die gematik auch Umsetzungsaufgaben wie Entwicklung und Vertrieb von Apps. Wie operativ soll oder sollte sich die gematik als staatliches Unternehmen zukünftig am Markt positionieren?


Es geht um die Bereitstellung von Schnittstellen, ohne die der Marktzugang nicht funktioniert. Hier muss die Gematik die Voraussetzungen schaffen, damit möglichst viele Akteure möglichst viele Dienstleistungen wie Apps anbieten können. Die Gematik sehe ich weniger als Player denn als Dienstleister für die Bereitstellung von Schnittstellen.

Die Defizite der bestehenden Krankenhausfinanzierung sind offenkundig. Wie sieht eine bessere Alternative aus?

Die Krankenhäuser brauchen Möglichkeiten, sich jenseits der DRG weiterzuentwickeln. Nach der Pandemie müssen wir eine Krankenhausreform auf den Weg bringen, um zwei Ziele zu erreichen. Erstens geht es um mehr Qualität im Sinne von Spezialisierung und die Aufrechterhaltung der Flächenversorgung. Ohne Digitalisierung und Vernetzung und das Aufbrechen von Sektorengrenzen wird uns das nicht gelingen. Zweitens geht es um die Investitionsfinanzierung, die derzeit von den Ländern im Schnitt nur zu 50 Prozent sichergestellt wird und perspektivisch von ihnen nicht zu 100 Prozent geleistet werden kann. Eine Lösung wäre, dass die Kassen die andere Hälfte übernehmen und im Gegenzug ein deutliches Mitspracherecht bei der Krankenhausplanung erhalten. Der Digitalisierungsfonds muss über die aktuellen Geldmittel des KHZG hinausgehen, der Bund könnte sich hier stärker als die Länder beteiligen. Die Krankenhäuser müssen in Echtzeit kommunizieren können, intern sowie mit anderen Häusern und dem ambulanten Bereich, aber auch mit den Krankenkassen. Nur so werden wir im ländlichen Bereich das nötige Knowhow gewährleisten können. Wir wollen den digitalen Reifegrad der deutschen Kliniken bundesweit und im internationalen Vergleich verbessern und optimieren.

Mit welchen Maßnahmen planen Sie die digitale Gesundheitswirtschaft in Deutschland zu stärken? Braucht es zur Absicherung der Investitionsfähigkeit in digitale Infrastruktur eine Fortführung bzw. Ausweitung des KHZG?

Wir brauchen eine Ausweitung und Weiterentwicklung des KHZG. Der Prozess der Digitalisierung wurde vor der Pandemie von der Selbstverwaltung nicht besonders dynamisch vorangetrieben, so dass der Bund über die Gematik tätig werden musste. Um hier schneller aufholen zu können, braucht es mehr Mittel. Vernetzung kostet Geld.

Der DVG-Fast Track wurde konzipiert, um digitale Innovationen schneller in die Regelversorgung zu überführen. Wie bewerten Sie den Fast Track? Sollte er abgeschafft oder gar auf andere Anwendungsbereiche innerhalb der Medizin ausgeweitet werden?

Der Fast Track ist wichtig, um die nötigen Innovationen in den Markt zu bekommen und eine bessere Versorgung und Steuerung der Patienten zu erreichen. Apps können dabei helfen, Versorgung bei stabilen Beiträgen effizienter zu machen. Viele Patienten gehen zu oft oder zum falschen Arzt. Daraus ergeben sich Diskussionen über eine aktive Patientensteuerung. Die könnte so aussehen, dass z.B. der Hausarzt den Zugang zum Facharzt stärker steuert. Gleichzeitig brauchen wir zusätzlich einfache und niedrigschwellige Zugänge zum Gesundheitssystem. Apps sind dabei ein wichtiger Schlüssel.

Hat die Pandemie nicht auch gezeigt, dass der Zuschnitt zwischen BMG und BMBF streng getrennt der richtige Ansatz ist?


Das Zusammenspiel der beiden Ministerien ist in der Pandemie besser geworden. Traditionell ist Gesundheit im Themenbereich Arbeit und Familie und / oder Soziales angesiedelt. In Zukunft werden die Schnittmengen mit Forschung und Wissenschaft größer. In Rheinland-Pfalz wurde jetzt Gesundheit mit Wissenschaft zusammengelegt. Die zukunftsweisenden Themen sind Digitalisierung, Forschung und Gesundheit.


Im Internet:
https://hih-2025.de/wir-brauchen-eine-balance-von-forschung-gesundheits-und-datenschutz/