Erwin Rüddel MdB

„Der Föderalismus ist in der Krise gescheitert“

Erwin Rüddel im Gespräch mit der "Siegener Zeitung"

Region. - Im Gespräch mit der Siegener Zeitung bot Rüddel eine ungewöhnliche Wette an: Er setzt 11.111 Euro darauf, dass am 11.11. zur Sessionseröffnung in diesem Jahr wieder ganz normal Karneval gefeiert werden kann. „Das wird zu 100 Prozent der Fall sein.“ Sollte es einen „Gegner“ geben, müsste sich der Verlierer verpflichten, diese Summe für einen guten Zweck zu spenden.

Hier der komplette Wortlaut des Gesprächs:
CDU-Politiker fordert beim Impfen weniger Bürokratie und nimmt die Länder in die Pflicht

Erwin Rüddel ist Politiker aus Überzeugung und Karnevalist aus Leidenschaft. Er ist sowohl Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Bundestag als auch der Rheinischen Karnevals-Kooperationen. Seine Kritiker werfen ihm vor, dass man bei dem Abgeordneten manchmal nicht so recht zwischen Beruf und Hobby unterscheiden kann. Fest steht: Rüddel ist ein bedingungsloser Optimist mit einer verschwimmenden Grenze zur Frohnatur. Das zeigt sich seit Wochen und Monaten inmitten der Pandemie: Fast schon aufopferungsvoll verteidigt der CDU-Politiker den Kurs der Bundesregierung und weckt Hoffnungen auf eine baldige Trendwende. Eine Trendwende, an die er felsenfest glaubt. Auch und gerade wegen des Impfstoffs, der bald in Hülle und Fülle zur Verfügung stehen werde.

„Alle Zahlen sprechen dafür, dass es schnell besser wird“

Für seine Zuversicht hat der Windhagener zuletzt diverse Schelten einstecken müssen. Kein Grund für ihn, von seiner Strategie abzuweichen. Nein, Rüddel will weder Mahner noch Bedenkenträger sein. So gehört er auch nicht zu den Verfechtern eines neuen Lockdowns, sondern eher zu den Freunden von Öffnungsstrategien, auch weil die Inzidenzwerte mittlerweile anders eingeordnet werden müssten als noch vor Monaten. Die Beschlüsse der vorletzten Ministerpräsidenten-Konferenz reichten vollkommen aus, müssten dann aber auch umgesetzt werden.

Dabei hat natürlich auch Rüddel den massiven Vertrauensverlust in die deutsche Politik wahrgenommen. Viele Entscheidungen der Politik hätten in großer Unsicherheit, unter Druck und in Eile getroffen werden müssen. „Im Nachhinein ist man dann immer schlauer“, sagt Rüddel.

Nicht jede Entscheidung sei die richtige gewesen. „Aber wenn wir mutige Politiker wollen, müssen wir auch über eine Fehlerkultur reden.“ Für Rüddel hat es sich in vielen Fällen nicht um ein Organisations-, sondern um ein Kommunikationsproblem gehandelt. Aber ja, so wie die Politik momentan agiere, werde es schwer, den Imageschaden zu korrigieren: „Mit Schuldzuweisungen gewinnen wir kein Vertrauen.“ Das gelinge nur durch konsequente Aufklärung und Information. Dabei hat Rüddel zu Beginn noch eine Art parteiübergreifenden „Korpsgeist“ im Gesundheitsausschuss verspürt. „Irgendwann aber hast du gemerkt, wie der Wahlkampf mit einfließt“, berichtet der Abgeordnete mit Blick auf Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Überhaupt die Länder: An denen kann sich Rüddel Tag und Nacht mit größter Inbrunst abarbeiten. Er sei der Kanzlerin dankbar, dass sie endlich einmal klargestellt habe, wer in Deutschland für was verantwortlich sei. Ansonsten darf man Rüddel ruhigen Gewissens eher dem Team Spahn als dem Team Merkel zuordnen.

Für ihn als Rheinland-Pfälzer sei es zum Beispiel unerklärlich, warum Private wie Fahrlehrer oder Fitnessstudio-Betreiber keine Tests vornehmen könnten. Zudem könne er nicht verstehen, warum nicht schon längst in den Schulen flächendeckend getestet werde. Rüddel geht sogar noch einen Schritt weiter:

„Der Föderalismus ist in der Krise gescheitert“

Nach der Pandemie müsse man sich auch einmal über neue Strukturen und Zuständigkeiten Gedanken machen.

Im gleichen Atemzug nennt der CDU-Politiker die Entbürokratisierung – auch eine Lehre aus der Krise. Vieles scheitere derzeit auch am Datenschutz: „Ist die Einschränkung der Freiheit größer, wenn ich den Datenschutz für drei Monate herunterfahre oder ein dreiviertel Jahr im Lockdown?“, fragt sich Rüddel beim Thema Kontaktnachverfolgung.

Ginge es nach ihm, würden Hausärzte ab sofort mit allen zur Verfügung stehenden Vakzinen in das Impfen einsteigen und dabei auch über die Priorisierung entscheiden. Im vergangenen Jahr seien 30 Millionen Menschen gegen die Grippe geimpft worden, erinnert Rüddel: „Das hat die Praxen nicht überfordert.“ Wichtig dabei sei: „Die Bürokratie darf nicht größer sein als bei einer normalen Impfung.“ Er selbst würde sich mit Astrazeneca impfen lassen, um einen Beitrag zu leisten, das Vertrauen wieder herzustellen. Spahn habe seine über 60-jährigen Kabinettskollegen dazu aufgefordert, er plane das Gleiche im Ausschuss.

Der Impfstoff bzw. die bald anstehenden Liefermengen sind es auch, die Rüddel in seinem Optimismus so bestärken. „Schon am Ende des ersten Quartals ist mehr geliefert worden, als wir versprochen haben.“ Das werde auch das ganze Jahr über so bleiben, soweit lehne er sich aus dem Fenster. Allein von Biontech werde 2021 so viel Impfstoff geliefert, dass jeder Deutsche damit geimpft werden könne. Der Abgeordnete ist immer noch davon überzeugt, dass schon am Ende des zweiten Quartals eine Herdenimmunität erreicht werden kann. „Alle Zahlen sprechen dafür, dass es schnell besser wird.“

© Thorsten Stahl, Siegener Zeitung