Erwin Rüddel MdB

Deutschland, das „Klima“ – und einige offene Fragen

Wann immer man heute einen der unzähligen Sender im Radio- und TV-Angebot des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) einschaltet, wird man in kürzester Zeit auf das Thema „Klima“ stoßen. Ob morgens, mittags, abends oder nachts, ob Nachrichten oder Doku, Talkshow oder Kultur, Küche oder Garten, Sport oder Lifestyle, Lebensmittel oder Kleidung, Gesundheit oder ferne Länder, Satire oder Comedy – „Klima“ ist das alles überwölbende Thema.

In den privaten Print- und elektronischen Medien sieht es teilweise ähnlich aus, aber der ÖRR behauptet diesbezüglich seit vielen Monaten eine einsame Spitzenposition. Und von „Klimawandel“ über „Klimanotstand“, „Klimakrise“ und „Klimagift“ bis hin zur „Klimakatastrophe“ und der „Klimahölle“ ist alles im Angebot. - Nicht nur deshalb lohnt ein genauerer Blick.

Worum geht es eigentlich beim „Klima“?

Kohlenstoffdioxid (CO2), im allgemeinen Sprachgebrauch Kohlendioxid, ist als Spurengas mit einem Volumenanteil von etwa 0,04 Prozent in der Erdatmosphäre enthalten, die zu 78 Prozent aus Stickstoff und zu 21 Prozent aus Sauerstoff besteht.

Von diesen 0,04 Prozent sind wiederum 97 Prozent natürlichen Ursprungs; die restlichen drei Prozent gelten als vom Menschen verursachte Emissionen.

Nach der herrschenden Theorie sind diese drei Prozent von 0,04 Prozent für die Erwärmung der Erde – den „Klimawandel“ – seit dem Beginn des Industriezeitalters Mitte des 19. Jahrhunderts verantwortlich.

„Klima“ ist allerdings keine physikalische Größe, sondern beinhaltet die Wettermittelwerte wie Temperatur, Druck, Wind, Niederschlag, Strahlung über 30 Jahre Wetterbeobachtung. Wetterwechsel über klimatische Zeiträume hinaus hat es in der Erdgeschichte indes schon immer gegeben, übrigens auch bereits mehrfach in beide Richtungen.

Wetter und „Klima“ sind keine exakte Wissenschaft wie Physik und Chemie, sondern betrachten die vom Menschen verursachten CO2-Emissionen als Ursache für den jüngsten Temperaturanstieg und treffen auf dieser Grundlage mit computermathematischen Modellen Vorhersagen für die Erwärmung in der Zukunft. Es ist dies das mehr oder minder monokausale Narrativ, um das sich derzeit in Politik und Medien alles dreht.

Welche Rolle spielt Deutschland?

Von den drei Prozent „menschengemachtem“ Anteil an den insgesamt 0,04 Prozent CO2-Anteil an der Erdatmosphäre entfällt auf unser Land wiederum ein Anteil von ca. 1,8 Prozent.

Ob der Klimawandel tatsächlich menschengemacht ist, wird von manchen bestritten. Aber wenn wir, um unnötige Kontroversen zu vermeiden, annehmen, es wäre so, dann bleibt doch die Tatsache bestehen, dass sich der deutsche Anteil am CO2 in der Luft irgendwo im Promillebereich bewegt und so verschwindend gering ist, dass sich das „Klima“ selbst dann kaum messbar verändern würde, wenn es Deutschland morgen nicht mehr gäbe.

Unser Land hat übrigens seinen CO2-Ausstoß von 1990 bis 2020 um ca. 30 Prozent reduziert. China hat im gleichen Zeitraum die Menge des ausgestoßenen CO2 auf mehr als das Vierfache erhöht und emittiert heute mit einem Anteil von etwa 30 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes mehr als alle anderen Industriestaaten zusammengenommen.

Es folgen (alles ca.-Angaben) die USA (13), Indien    (7), Russland (4,7), Japan (2,9), Iran (2,02) und dann eine Gruppe von vier Ländern, die alle knapp unter der Zwei-Prozent-Grenze liegen (neben Deutschland sind dies Saudi-Arabien, Indonesien und Süd-Korea).

Gleichwohl fordern die hiesigen Klimaaktivisten in Parteien, Medien und Gesellschaft unverdrossen, unser Land müsse noch viel schneller noch viel mehr unternehmen, weil – das klingt zumeist mit – anders „das Weltklima nicht zu retten“ sei.

Sehen wir uns diese Argumente einmal näher an.

Das „Pro-Kopf“-Argument

Ja, das räumen sogar die „Klimaaktivisten“ ein, es stimme: Deutschland trage nicht einmal zwei Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. Aber sie sagen: Pro Kopf liegt unser Land mit ca. acht Tonnen CO2 pro Jahr immerhin weltweit zwischen Platz zehn und zwölf, weit vor Ländern mit teils viel größerer Bevölkerung.

Dazu ist zunächst anzumerken, dass Deutschland, obwohl immer noch die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Erde, hier nur auf Platz zehn bis zwölf steht. Wir stehen mithin gemessen an unserer Wirtschaftskraft deutlich „besser“ da, als aufgrund unserer wirtschaftlichen Tätigkeit zu erwarten wäre.

Vor allem aber gehört die Tatsache ins Bild, dass wir mit unseren Exporten in Höhe von über einer Billion Euro pro Jahr massenhaft Güter für andere Länder produzieren, die dort dringend erwartet und benötigt werden. Ein ganz erheblicher Teil der hiesigen Pro-Kopf-Emissionen rührt daher von Produkten, die zwar hier hergestellt, aber in anderen Ländern eingesetzt werden (und dort eben keine Emissionen verursachen).

Und bei dem Bemühen, unser Land sogar mit Ländern zu vergleichen, die sich teils noch im vorindustriellen Zeitalter befinden bzw. außer Nahrungsmitteln fast nichts produzieren, handelt es sich schlicht um eine durchsichtige Milchmädchenrechnung, die einzig das schlechte Gewissen adressieren soll.

Das Argument der „historischen Schuld“

Das führt direkt zum nächsten „Argument“, welchem zudem gern eine Prise „Kolonialismus“ und „Rassismus“ beigefügt wird.

Das geht so: Weil „wir“, also die hochentwickelten Industriestaaten, uns schon seit über 150 Jahren „am Klima versündigt“ haben, müssen wir jetzt verschärft dafür „büßen“ und möglichst alles auf null herunterfahren. Überdies müssen wir bereit sein, den Entwicklungsländern einerseits „nachholende Sünden“ zu gestatten und sie andererseits finanziell so auszustatten, dass auch sie möglichst bald „klimaneutral“ werden können.

Abgesehen von der schieren Unmöglichkeit derartiger Finanztransfers gilt, was die vehementen Kritiker der westlichen Welt gern unter den Tisch fallen lassen: die gesamte moderne Zivilisation beruht auf dem, was seit Beginn der Neuzeit und verstärkt seit Beginn der industriellen Revolution geschaffen wurde. Das reicht sozusagen vom Buchdruck über die Dampfmaschine und das Aspirin bis zum Internet. Ob Motoren oder Elektrizität, ob massentaugliche Verkehrs- oder Kommunikationsmittel, ob Seuchenbekämpfung oder moderne Medizin – das alles ist, bis hin zum Ausgreifen ins All, in Ländern erfunden und erarbeitet worden, die jetzt an den Pranger gestellt werden.

Begleitet wurde diese Entwicklung allerdings von nie gekanntem Wohlstand breitester Schichten, vom Sozialstaat und einer Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau. In der Folge hat sich die mittlere Lebenserwartung – und zwar nicht nur in der westlichen Welt - gegenüber der vorindustriellen Zeit, wo sie bei 30 bis 40 Jahren lag, signifikant erhöht.

Und für diese „Sünden“ sollen wir uns „schuldig“ fühlen? – Dieser Sicht kann ich mich nicht anschließen.

Das „Vorreiter“- und „Vorbild“-Argument

Auch dieses ist mehr als fragwürdig. „Deutschland muss vorangehen“ – warum eigentlich?

Vorbild wird man vielleicht für andere, wenn man etwas macht, von dessen Nachahmung sich andere einen Vorteil oder einen Gewinn versprechen können. Ein Land, welches „Klima“ über alles stellt und dafür seine Industrie abbaut, Firmen ins Ausland vertreibt, seine Energieversorgung einerseits gefährdet und andererseits unbezahlbar macht, seinen Lebensstandard in den Sinkflug schickt und dabei ungeheure Summen an Steuern und Schulden in eine staatlich gelenkte Plan- und Verbotswirtschaft pumpt - und das alles für „Klimamaßnahmen“, für deren Erfolg es kaum seriöse Belege gibt - , dürfte kaum ein Vorbild für andere werden.

Zwingen können wir ohnehin niemanden, uns zu folgen. Und so bleibt unser Einfluss darauf, wie weit der Rest der Welt die Emission von Kohlendioxid reduziert, im Zweifel verschwindend gering.

Im Übrigen hat sich sowohl beim Blick auf den Ausstieg aus der Kernenergie wie bei der ungeregelten Einwanderung gezeigt, dass den deutschen „Vorreitern“ und „Vorbildern“ niemand folgen will, im Gegenteil. In beiden Fällen ist Deutschland international gesehen als Geisterfahrer unterwegs.

Die globale Bilanz

Es wird auch künftig Erdöl, Gas und Kohle gefördert werden – in China, in Indien, im Nahen Osten, in Venezuela, am Golf, in Russland und in etlichen anderen Regionen. Und zahllose sich entwickelnde Nationen überall auf dem Globus werden auch künftig alle Hebel in Bewegung setzen, um sich dem Niveau des Wohlstands der führenden Industrieländer zumindest anzunähern.

Dabei ist noch nicht einmal die Rede von den Folgen für das „Klima“, wenn sich die Bevölkerung Afrikas voraussichtlich bis zur Mitte des Jahrhunderts verdoppelt haben wird.

Die EU hat übrigens zwischen 2016 und 2021 den Ausstoß von CO2 um ca. 364 Millionen Tonnen reduziert, während die übrige Welt im gleichen Zeitraum ihre Emissionen um 1,6 Milliarden Tonnen erhöhte.

Es liegt auf der Hand, dass nicht nur China, sondern auch viele andere Staaten durch den forcierten Ausbau fossiler Energien künftig mehr als zunichtemachen werden, was Deutschland und die EU in den kommenden Jahren bestenfalls einsparen können.

Das bedeutet: Alles, was die einen einsparen, werden andere Länder verbrauchen. Es wird kein Fass Öl, kein Kubikmeter Gas und keine Tonne Kohle ungenutzt bleiben. Der Ausstoß von CO2 wird sich lediglich verlagern, von denen, die „einsparen“, zu denen, die die frei gewordenen Mengen verbrauchen werden.

Und da das „Klima“ ja nicht auf dem winzigen Territorium Deutschlands (mit seinem ebenfalls winzigen Anteil an der Weltbevölkerung von gerade noch einem Prozent) „gerettet“ werden kann, sondern als globales Problem definiert ist, wird aller Voraussicht nach auch dieser Ansatz wirkungslos verpuffen.

Was unternimmt aktuell die Bundesregierung?

Gemessen daran, dass sie den Klimawandel tagtäglich im Munde führt, trifft sie erstaunliche Entscheidungen:

•    Sie schaltet die (CO2-neutralen) Kernkraftwerke ab, fährt Kohlekraftwerke wieder hoch, kauft in aller Welt Gas zu überhöhten Preisen und führt Fracking-Gas aus den USA ein.

•    Sie wundert sich, dass sich auf diese Weise die CO2-Bilanz verschlechtert und die Strompreise weiter steigen.

•    Sie lehnt es ab, vorhandene Gasvorkommen in Deutschland zu erschließen und hierzulande Fracking-Gas zu fördern.

•    Sie baut stattdessen milliardenteure LNG-Terminals für US-Fracking-Gas und nimmt in Kauf, dass durch mehrfache Umwandlung sowie Transporte über den Atlantik einerseits erhebliche Energieverluste und andererseits zusätzliche CO2-Emissionen generiert werden.

•    Sie hofft bei Notfällen aufgrund eigenen Strommangels auf Kohlestrom aus Polen und auf Atomstrom aus Frankreich.

•    Sie pusht Elektro-Autos (mit dubioser CO2-Bilanz), für die absehbar weder das Stromnetz ausreicht, noch genügend Strom und genug Ladestationen vorhanden sind.

•    Sie will Wärmepumpen (für die ebenfalls das Stromnetz nicht ausreicht und nicht genug Strom vorhanden ist) für private Häuser und Wohnungen erzwingen und stellt dafür Subventionen aus neuen Steuern und Schulden in Aussicht.

•    Sie will – um die weitere Abwanderung von Unternehmen zu bremsen – den Strompreis für die Industrie subventionieren; natürlich mit neuen Steuern und Schulden.

•    Und für alle diejenigen, die immer noch Zweifel haben, beschwört sie – ungeachtet aller offenen finanziellen, technischen und sonstigen Fragen – das Phantom einer fernen „Wasserstoff-Zukunft“ herauf, in der das klimaneutrale Paradies vollendet sein wird.

Das alles wird ins Werk gesetzt per ordre de mufti – eine staatliche Plan- und Kommandowirtschaft, die fatal an den gescheiterten „Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe“ (Comecon) des seligen Warschauer Pakts erinnert, und bei der sich in immer höherem Tempo ein kaum noch überschaubares Subventionskarussell dreht, weil ständig die Folgen des einen staatlichen Eingriffs durch weitere staatliche Eingriffe notdürftig korrigiert werden müssen.

Ein vergiftetes gesellschaftliches Klima

Schließlich noch ein letzter Aspekt. Die Propheten der „Klimahölle“ haben es geschafft, hierzulande ein gesellschaftliches Klima zu erzeugen, in dem der „Kampf gegen die Klimakrise“ teilweise quasi-religiöse Züge angenommen hat.

Dazu drängen sich unerfreuliche Assoziationen auf – etwa an Savonarola, an die Wiedertäufer, die Kinderkreuzzüge und an allerhand verwirrte Untergangssekten. Und, was noch schlimmer ist, leider werden gerade junge Menschen in einen fatalistischen Radikalismus getrieben, der letztlich darauf hinausläuft, die Demokratie selbst in Frage zu stellen, weil nur so die Rettung der Welt vor dem Untergang erreicht werden könne.

Es ist unverantwortlich, jungen Menschen auf diese Weise Untergangsängste zu injizieren und ihnen die Aussicht auf ein erfülltes Leben in der Zukunft zu rauben.

Und es grenzt an Hybris, ihnen gegenüber heute zu behaupten, dass die Menschen einen gesicherten Einfluss auf die Erderwärmung in einem Umfang des 1.5°C Zieles haben werden, wie es das Pariser Klimaabkommen postuliert.

Was tun?

Der geneigte Leser mag am Ende dieses Textes mit Recht fragen, welche Schlussfolgerungen der Verfasser selbst für notwendig erachtet.

Fest steht, dass weder Deutschland allein noch die Europäer allein eine Chance haben, den Klimawandel aufzuhalten. Wir wären deshalb besser beraten, vermehrt darüber zu diskutieren, wie wir mit möglichen Folgen umgehen sollten.

Ansonsten gilt: wir müssen offen sein für Innovationen, für neue technische Lösungen (z.B. CO2-Abscheidung und –Speicherung, evtl. auch Kernkraftwerke neuen Typs).

Wir müssen zudem überlegen, wo wir – außerhalb unseres Landes – mit geringeren Mitteln mehr im Sinne globaler Effekte erreichen können als im Inland.

Hier in Deutschland sollten wir – wie seit 1990 – weiter beharrlich, mit Augenmaß und Offenheit für neue Lösungen für sauberere und umweltfreundliche Abläufe in Industrie und Alltag arbeiten.

Dabei müssen wir auf Anreize und marktwirtschaftliche Instrumente setzen statt auf brachiale Verbote, und wir dürfen die finanzielle Leistungsfähigkeit von Staat, Unternehmen, Arbeitnehmern und Familien nicht überfordern.

Mit einem Wort: ehe wir Gefahr laufen, Deutschland wirtschaftlich, finanziell und sozial zu ruinieren, um – wenn überhaupt – Effekte im Promillebereich zu erzielen, sollten wir unsere Aufmerksamkeit verstärkt darauf richten, wie wir mit dem Klimawandel künftig leben können, indem wir uns rechtzeitig auf mögliche Folgen der Erderwärmung einstellen.